editor (scholarly)

Wenn wir nunmehr die editorischen Konsequenzen dieser Erweiterungen des Textbegriffs näher betrachten, so wird deutlich, daß der Herausgeber eine wissenschaftlich fundierte Edition so anlegen muß, daß sie den beiden einen literarischen Text kennzeichnenden Bestrebungen, der Statik und der Dynamik, der Fixiertheit und dem Aufreißen dieser Fixiertheit, Ausdruck verleihen muß. Der Text ist zum einen als historisch festgelegtes Zeichen, als sinnvoller geschichtlich determinierter Bedeutungszusammenhang zu konstituieren. Daß hier schon immer die deutende Subjektivität des Editors hineinspielt und in die objektiv erscheinende historische Form des edierten Textes rückgebunden wird, verweist darauf, daß bereits im ‘Phäno-Text’ der Edition die Überschreitung der zeichenhaft festgelegten Grenzen angelegt ist. Dennoch liegt nicht darin die eigentliche, das historisch definierte Zeichen aufsprengende Tendenz der Edition; im Gegenteil, der Herausgeber wird darum bemüht sein müssen, die Authentizität der Textkonstitution, ihre historische und materialorientierte Gebundenheit so weit wie nur möglich zu betreiben, um den Gegenpol zur dynamischen Bewegtheit des Textes nicht vorzeitig aufs Spiel zu setzen. Die Dialektik von Textfixierung und Zeichenauflösing läßt sich in der Konstitution einer einzelnen Textfassung editorisch kaum greifen, erst die Art der Überlieferung neuerer Literatur – die Einsicht in die den Schreibstrom unmittelbar abbildenden Konzepte, die Kenntnis verschiedener Fassungen eines Werkes oder gar die weitgehende Dokumentation der Textgenese in Plänen, Entwürfen, varierenden Reinschriften – bieten die Chance, die Einheit von Gegensätzen innerhalb eines Textes in einer Edition sinnfällig zu machen.

(Martens 1989, 20-21)

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